Sumpfohreule, © GQuedens© GQuedens

Straßennamen in den Amrumer Dörfern (Ausnahme Wittdün), Begrüßungstafeln an den Ortseinfahren von Nebel und Norddorf, Namen einiger Häuser, und vor allem vier Steine an der Straße ab Wittdün mit den Versen der Amrumer “Nationalhymne” (“Dü min tüs, min öömrang lun…”) vermitteln den Inselgästen, dass die Amrumer wohl deutsch schreiben und reden können, die “Muttersprache” der (immer seltener werdenden) Ur-Amrumer aber Öömrang, ein Dialekt der einst an der Nordseeküste verbreiteten friesischen Sprache ist, immerhin noch von geschätzten 30-40% der Ur-Amrumer gesprochen. Das reinste Öömrang hört man heute aber eher in Amerika, in New York und andernorts. Denn die vor einem halben Jahrhundert ausgewanderten, damals jungen Amrumer haben ihre Muttersprache am reinsten gehalten, weil sie vom Zwang der vielen hochdeutschen Begriffe aus Natur, Technik, Politik usw. frei waren. Aber wie die echten Ur-Amrumer oder Alt-Amrumer, sterben nun auch die Amrum-Amerikaner aus.

Der friesische Wortschatz leidet aber auch darunter, dass etliche Wörter in Vergessenheit geraten, weil sie nicht mehr oder zu selten benutzt werden. Wer von den jüngeren Insulanern weiß heute noch, was ein “Hukerhüske” ist? Hukerhüsken waren überdachte Erdhöhlen in den Stranddünen, als Unwetter- und Regenschutz von Jugendlichen und Erwachsenen gebaut, wenn sie auf das Trockenfallen der “Huker”, Grundleinen mit Angelhaken draußen vor der Küste, warteten. Und wenn dann die Schollen von den Leinen genommen waren, erfolgte die Neubeköderung, das “Iarsin” für den nächsten Gezeitenwechsel. Das ist nun siebzig bis hundert Jahre her, und kaum ein Insulaner weiß, was die Tätigkeit “Iarsin” mit Wattwürmern bedeutet. Aber nicht nur etliche Begriffe früherer Tätigkeiten sind aus dem Sprachschatz heutiger Generationen verschwunden, auch aus der Landwirtschaft sind viele Begriffe nicht mehr bekannt, wie überhaupt zahlreiche andere Wörter, die heute nicht mehr oder zu selten gebraucht werden. Das gilt auch für Benennungen in der Natur, etwa für die insulare Vogelwelt.

Alte und neue Vogelwelt

Für die Amrumer Vogelwelt gelten einige spezielle Regeln. 1. Die Vogelarten waren in früheren Jahrhunderten sehr viel seltener als in der Gegenwart. Früher gab es auf der Insel fast keine Büsche und Bäume, und diese Tatsache schloss etliche Vogelarten als Brutvögel aus. 2. Vögel wurden vor allem unter dem Aspekt der Nutzung betrachtet, sei es, dass man die Eier dieser meist bodenbrütenden Seevögel sammeln oder die Tiere selbst als Jagdbeute nutzen konnte. So erhielten die in der Vogelkoje gefangenen Arten, Spießente (Gräfögel), Pfeifente (Smen), Krickente (Uart) und Löffelente (Slob) einen friesischen Namen, obwohl sie keine Brutvögel auf Amrum waren. Alle übrigen, vor allem in der Zugzeit an der Küste und im Watt vorkommenden Wildentenarten mussten sich mit ihren deutschen Namen begnügen. Als eine der wenigen Wildgansarten wurde auch die Ringelgans mit einem friesischen Namen bedacht: “Rottgus“, wobei fraglich ist, ob sie nach ihrer Stimme “Rott rott” oder nach der Art ihres Fluges in Rotten benannt wurde.

Weil weder Eierlieferant noch Jagdbeute, blieb die Riesenarmee der Singvögel, die zumindest in der Zugzeit in Mengen auf Amrum vorkamen, ohne friesische Namen. Nur ganz wenige der damals auf Amrum notierten Arten wurden mit einem solchen bedacht. Dazu gehörte natürlich der damals häufigste Singvogel, die Feldlerche (fries. “Laask“), der in den Dünen in Kaninchenhöhlen brütende Steinschmätzer (“Dieker“) sowie in den Dörfern die Rauchschwalbe (“Swalk“), der Haussperling (“Spareg“) und der Star (“Sprian“). Andere erhielten keine Namen, weil sie den Insulanern nicht bewusst wurden, obwohl sie in früheren Jahrhunderten als Brutvögel zur Inselornis gehörten, so der Bluthänfling, der mangels Buschwerk in höherem Heidekraut brütete, und der Wiesenpieper, immerhin Wirtsvogel des auch auf der Insel vorkommenden Kuckucks.

 

Die Amrumer Vogelwelt früherer Jahrhunderte lässt sich anhand der friesischen Namen identifizieren. Seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts aber bildet die friesische Sprache – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keine eigenständigen Wörter mehr für die tausenderlei Begriffe aus Natur, Kultur, Technik und Alltagsleben. Vögel, die nach etwa 1850 als Brutvögel einwanderten, mussten sich mit den deutschen Namen begnügen, wenn sich keine direkte Übersetzung, für die Graugans etwa “Grägus“, anbot. Nicht einmal die heutige “Allerweltsmöwe”, die Lachmöwe, bekam einen friesischen Namen, während sich für den derzeit häufigsten Brutvogel auf Amrum, die Heringsmöwe, immerhin, da Hering und Möwe auf Friesisch zur Stelle waren, die Bezeichnung “Hirangskub” anbot.

Wie heißt eigentlich der Austernfischer auf Friesisch?
Fragt man heute einen jugendlichen Amrumer nach den friesischen Namen des “Allerweltsvogels” Austernfischer, darf man keinesfalls eine zufriedenstellende Antwort erwarten. Nicht viel anders ist die Situation beim Kiebitz. Der Austernfischer heißt auf Öömran Liew, der Kiebitz Liap. Weitere heimische Limikolen sind der Rotschenkel, auf öömrang Kleer und der Sandregenpfeifer, Grank. Letzterer hieß früher Halsbandregenpfeifer und beide, Kleer und Grank, waren früher als Brutvögel auf Amrum und an der Nordseeküste verbreitet. Heute kommen sie nur noch mit wenigen Brutpaaren vor. Hingegen hat es in früheren Jahrhunderten den Großen Brachvogel auf der Insel nicht gegeben. Trotzdem hat er einen friesischen Namen, Rintüüter, weil er als Jagdwild im nächtlichen Watt mit der Blendlaterne von Bedeutung war. Auch die zahlreichen Strandläufer während der Zugzeit im Watt (Knutts, Alpenstrandläufer, Sanderlinge usw.) werden auf öömrang benannt, allerdings ohne spezifische Artenbenennung pauschal unter dem Sammelbegriff Stönerk.

Von den heutigen Möwenarten haben nur die Silbermöwe, Kub, und die kleine Sturmmöwe, Meew, einen Inselnamen. Heringsmöwe, Mantelmöwe und Lachmöwe kamen früher als Brutvögel auf Amrum nicht vor und müssen sich daher mit ihrer deutschen Bezeichnung bzw. mit einer “Übersetzung” begnügen. Die Silbermöwe wird auch auf den ostfriesischen Inseln Kub genannt, heißt auf Sylt aber Aasmö = Aasmöwe.

Drei Arten von Seeschwalben brüten auf Amrum. Die zierliche und hochgefährdete Zwergseeschwalbe wird Sternk genannt. Fluss- und Küstenseeschwalben heißen Baker, wobei letztere oft mit dem Präfix Dol versehen wird, weil sie Störenfriede, auch Menschen, im Brutgebiet so heftig attackiert, dass man Kopfwunden davontragen kann und nur schleunigst die Flucht ergreifen sollte. Dol heisst in diesem Fall so viel wie “aufgebracht, böse”.

Es gibt sogar eine weitere Seeschwalbenart mit Amrumer Namen: die Brandseeschwalbe = Huuchsternk, obwohl diese nicht mehr auf Amrum brütet, sondern von der Hallig Norderoog bekannt ist.

Die Eiderente ist der Wappenvogel von Amrum, muss aber hinsichtlich ihres friesischen Namens eine falsche Artbezeichnung ertragen. Denn die Eidergus, die Eidergans, ist keine Gans, sondern eine Ente. Erst seit den 1880/90er Jahren ist sie Brutvogel auf Amrum und hat dann trotz der späten Besiedlung unserer Insel einen friesischen Namen erhalten.

Hingegen war die Brandgans, die man wegen ihrer systematischen Stellung auch Brandente nennen darf, seit jeher Brutvogel auf Amrum, mindestens seit den Jahren um anno 1231, als König Waldemar auf der Insel Wildkaninchen aussetzte, die für Bruthöhlen sorgten. Die Beragan heisst an der ganzen Nordseeküste so, obwohl die eigentliche “Bergente” (Aythya marila) zu einer ganz anderen Art gehört. Aber die Brandgans hält sich gerne an Dünen-“Bergen” auf, weil es dort Wildkaninchenhöhlen gibt.

Von größeren Landvögeln sind vor allem die Sumpfohreule als Katüül (Katzeneule) und die Rabenkrähe als Kriak bekannt. Die Sumpfohreule brütet am Boden in Heidekraut und Dünenhalm und dürfte seit jeher zur Amrumer Vogelwelt gehört haben. Das gleiche gilt für die Rabenkrähe, Brutvogel auf Amrum, obwohl es hier früher in der freien Landschaft keine Bäume gab. Aber auch die Krähe nistete mit ihren kunstvollen Nestern am Boden, ehe in der Vogelkoje Meerum und auf der Inselheide erste Aufforstungen entstanden.

Wie erwähnt, war die Zahl der Singvögel im alten Amrum nicht nur gering, sondern für das Inselleben hinsichtlich der Nutzung auch unbedeutend. Der Föhrer Lehrer Reinhard Arfsten (1897-1971) hat in seinem “Föhrer Vogelbuch” 1957 den Versuch unternommen, allen auf Föhr und Amrum vorkommenden Vogelarten einen friesischen Namen zu geben. Aber diese Namen haben sich mangels täglichen Gebrauches nicht durchgesetzt. Selbst die Bezeichnung für den heute in den Inselgärten häufigsten und fast ganzjährig vertretenen Singvogel, die Amsel = Kramper (nach “Crammetsvogel”) ist weitgehend unbekannt. Die Amsel ist erst Mitte des vorigen Jahrhunderts als Brutvogel auf den Inseln heimisch geworden und hat ihren friesischen Namen somit verpasst. Auch der häufigste Singvogel in den Vogelkojen und Inselwäldchen, der Buchfink, muss sich mit seinem deutschen Namen begnügen

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Kai Quedens, Maler und Grafiker, © Karin Wengorz

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Eiszeit auf Amrum Odde, © KQuedens© KQuedensEntstehungsgeschichte Amrums

Entstehungsgeschichte Amrums

06.01.2021 - Kai Quedens